Fragen zur "Magischen Coronavirus App"

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0100
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Fragen zur "Magischen Coronavirus App"

Beitrag von 0100 »

In Deutschland wird sehr viel über eine App zur Bekämpfung von Corona gesprochen. Das hat verschiedene Hintergründe (Modellierung hier: https://science.sciencemag.org/content/ ... 6.full.pdf):
Ein erheblicher Teil der Infektionen (ca. 47%) erfolgt wohl präsymptomatisch. Die Serienlänge (Zeitraum von Infektion zu Infektion) ist so, dass sobald ein Infizierter aus der Übertragung genommen wurde (z.B. Isolierung oder im schlimmsten Fall Plastiksack), so hat dieser nicht nur bereits weitere Personen infiziert, sondern auch diese „Nachinfizierten“ sind zu diesem Zeitpunkt ebenfalls bereits infektiös, beginnen also gerade, weitere Menschen zu infizieren.
Ab einer gewissen Anzahl von Infizierten kommen deshalb die Gesundheitsämter mit dem Nachverfolgen der Fälle durch „Hinterhertelefonieren“ natürlich nicht mehr hinterher es hilft nur noch der „Lockdown“.
Eine App hätte mit der Nachverfolgung der Fälle, aufgrund der fast unendlich kurzen Reaktionszeit, keine Probleme. Außerdem könnte man die Infizierten somit eher isolieren, damit die Zahl der nachgelagerten Infektionen sinkt.
Fast im selben Moment, so die Überlegung, könnte man alle Kontaktpersonen isolieren. Voraussetzung: Eine App, die per Bluetooth erkennt, welche Handys sich dem eigenen Handy für eine bestimmte Dauer (z.B 15 Minuten) bis auf einen bestimmten Abstand (< 1,5 m) genährt haben.
Vereinfachtes Resultat der Modellierung:
Geziehlte Diagnostik + Fallverfollgung + Isolierung der Kontakte => Infektion nicht mehr zu stoppen.
Lockdown => Infektion kann gestoppt werden
Lockdown mild (z.B. Versammlungsverbot) + Geziehlte Diagnostik + Fallverfollgung + Isolierung der Kontakte => Infektion nicht mehr zu stoppen.
Wunderapp => Infektion kann gestoppt werden

„Magical Corona App“ und Funkzellenortung:
Der Radius einer Funkzelle hängt von der Reichweite des Senders ab und liegt zwischen 100 Metern und 30 km. Im Zweifel kann man mittels der ID (Nummer) der Funkzelle den Standort eines Handys also nur auf einen Umkreis von 30 km eingrenzen. Das genaueste Verfahren zur Ortung durch Funkzellen ist EOTD-Verfahren (Enhanced Observed Time Difference), (Quelle: https://www.elektronik-kompendium.de/si ... 201061.htm)
Dabei misst das Handy die Laufzeitunterschiede der Signale von mehreren Sendern (ist die Signallaufzeit zwischen allen drei Funkzellen gleich groß, so befindet sich das Handy in deren Mitte). So lässt sich der Standort eines Smartphones auf bis zu 30 Metern genau bestimmen. Das ist viel zu ungenau um die Anforderungen der „Magical Corona App“ zu erfüllen.

„Magical Corona App“ und GPS:
Die Genauigkeit des GPS liegt zwischen 13 Meter und 1 Millimeter. Genauigkeiten unter 2 Meter sind nur mit viel Aufwand (Differential-GPS) erreichbar. Übliche GPS-Empfänger und Handys haben eine Genauigkeit von 13 bis 2 Meter. Die horizontale Genauigkeit liegt bei 10 bis 15 Meter (Stand: 2014, Quelle: https://www.elektronik-kompendium.de/si ... 201071.htm).
Die derzeit in Handys verbauten GPS sind somit nur in wenigen Fällen in der Lage, die Anforderungen zu erfüllen, welche die „Magical Corona App“ an sie stellen würde. Erschwerend kommt hinzu, dass GPS-Empfänger die Satelliten-Signale in Gebäuden kaum empfangen können. Im Freien könnte GPS in wenigen Einzelfällen einen Beitrag zur Lösung darstellen.

„Magical Corona App“ und Abstandsmessungen durch Geräuschlaufzeiten
Abstandsmessungen durch Geräuschlaufzeiten (Schallgeschwindigkeit) kommen aus naheliegenden Gründen nicht in Betracht: Alle Handys müssten immer das Mikrofon offen haben (Energieverbrauch, Privatsphäre)…

Hab gerade den Aritikel „An Inexpensive Bluetooth-Based Indoor Positioning Hack, Kenneth C. Cheung, Stephen S. Intille, and Kent Larson House_n Massachusetts Institute of Technology, Cambridge 2006.“ (Quelle: https://dam-prod.media.mit.edu/x/files/ ... on2006.pdf) gelesen. Der Titel hatte mich gierig gemacht, hilft aber leider nicht weiter, waren aber auch nur 2 Seiten: Es wird ein Bluetooth-basiertes Indoor-Positionierungssystem beschrieben, das kostengünstige stationäre „Beacons“ („Leuchttürme“, Sender) und Microsoft - Handys verwendet. Die Materialkosten lagen bei nur 20 Dollar (wohl ohne die Handys)! Die haben Bluetooth – Kopfhörer (Ohrstöpsel) an Wechselstrom angeschlossen (damit sie beim Laden etc. nicht ausgehen), in Pappkartons verpackt und mit Allufolie umwickelt, um eine Reichweite von ca. 3 Metern zu erreichen. Damit ist es in größeren Bürogebäuden möglich zu bestimmen, in welchem Büro sich ein Handy befindet. Voraussetzung ist allerdings, dass in jedem Büro diese kleinen „Leuchttürme“ stehen, denn nur dann kann man anhand der Frage welche Leuchttürme empfangen werden darauf schließen, in welchen Büro sich das Handy befindet. Da es diese „Leuchttürme“ in der Realität kaum irgendwo gibt hilft uns dass bei der „Magical Corona App“ auch nicht weiter. Deshalb möchte ich mich zukünftig mit den Bluetooth Signallaufzeiten (kaum Aufzulösen) und den (Geräte- und Akkuabhängigen) Signalstärken beschäftigen…
Wer kann dazu etwas erklärendes beitragen? Hier sollte doch Sachverstand zu finden sein…

0100
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Re: Fragen zur "Magischen Coronavirus App"

Beitrag von 0100 »

"Da es diese „Leuchttürme“ in der Realität kaum irgendwo gibt hilft uns dass bei der „Magical Corona App“ auch nicht weiter."

Hmm, bei nochmaligen Nachdenken: Das wäre für Baumärkte, Kliniken, Altersheime oder größere Geschäfte eigentlich keine Hürde so etwas ähnliches aufzustellen. Zumindest die Materialkosten wären lächerlich...

Vereinfacht gesagt: Sobald zwei Handys für 15 Minuten Kontakt zum gleichen "Beacon" haben, könnte man das als Risikokontakt tracen...

Quick and ceap?

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udo1toni
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Re: Fragen zur "Magischen Coronavirus App"

Beitrag von udo1toni »

Bei Wechselstrom geht bei mir die April-April-Warnleuchte an.

Mal abgesehen davon, dass es sehr wohl Bluetooth Beacons gibt, welche Inhouse recht genaue Positionsbestimmung erlauben, kranken all diese tollen Überlegungen an ein paar kleinen Denkfehlern.

Nicht jeder Mensch hat ein Handy (auch nicht in Deutschland), nicht jedes Handy hat Bluetooth, nicht jedes Bluetooth Handy hat Bluetooth auch aktiviert, nicht jedes dieser Geräte kann beliebige Apps ausführen, ein guter Teil der Geräte wird darüber hinaus nicht leistungsfähig genug sein, da die Appentwickler sich mit Sicherheit an den Topmodellen der nächsten Saison orientieren werden (Minimum 16GByte Arbeitsspeicher, 32-Core Prozessor... ) ;)

Und über das Thema Datenschutz müssen wir gar nicht erst reden (Nein, wegen Corona sind nicht automatisch alle Menschenrechte außer Kraft gesetzt). So toll der Gedanke ist, nicht jedes Problem lässt sich mit Software lösen.

Die einzig sinnvolle Maßnahme zur Eindämmung ist striktes Abstand halten, das kann nämlich Jeder hinbekommen, so schwer es dem Einzelnen auch fallen mag.
openHAB4.1.2 stable in einem Debian-Container (bookworm) (Proxmox 8.1.5, LXC), mit openHABian eingerichtet

AntjeP
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Re: Fragen zur "Magischen Coronavirus App"

Beitrag von AntjeP »

Hoffen wir mal, dass sich die Situation weiter legt. Letztendlich ist eine fehlerfreie Erfassung nicht möglich. Wir müssen immer mit Fehlern rechnen.

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